Deutschlands Rolle in der Krise

Viola von Cramon
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25. September 2012
Viola von Cramon

Es hat mehr als zwei Jahre gebraucht, bis Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst in einer Pressekonferenz die historischen Gründe anführte, warum Deutschland sich solidarisch in der Eurokrise engagieren muss. Mit Verweis auf ihre ostdeutsche Herkunft und auf die mit der deutschen Einheit verbundenen Solidarmaßnahmen sagte sie, dass jetzt die Staaten in Europa die Chance hätten, sich gegenseitig helfen zu können. Man könnte meinen, dass damit eine klare deutsche Rolle in der Bewältigung der Krise gefunden sei. Das ist aber bei genauerem Hinsehen leider nicht der Fall.

Die Europäische Zentralbank als Retterin durch die Hintertür

Die Bundesregierung hat das Wort Solidarität viel zu spät entdeckt. Da war der Vertrauensverlust in weiten Teilen der EU Deutschland gegenüber schon weit vorangeschritten. Durch einzelne Vertreter der Regierungskoalition und durch gewisse Medien wurden die südlichen Euro-Mitgliedsländer in der deutschen Öffentlichkeit stark diskreditiert. Dies stellt nun eine schwere Hypothek für die Solidarmaßnahmen dar, die Deutschland in den kommenden Jahren zu schultern haben wird. Die Bundesregierung ist sich der Notwendigkeit, sich weiter engagieren zu müssen bewusst und ist deshalb mit der Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) als Retterin durch die Hintertür einverstanden. Das Volumen der durch die EZB von Krisenstaaten angekauften Staatsanleihen ist mittlerweile um einiges größer als das des ESM. Die politische Verantwortung wird an die EZB abgegeben. Während Eurokritiker in Reihen der Regierungskoalition die Angst vor „italienischen Verhältnissen“ aufbauschen, ist dieser Weg der EZB für die Bundesregierung am einfachsten, weil sie dafür keine Mehrheiten im Bundestag organisieren muss. Ehrlicher wäre dagegen, das Konzept eines Altschuldentilgungsfonds offensiv in die Diskussion aufzunehmen.

Natürlich ist das Eintreten in eine europäische Haftungsgemeinschaft für den deutschen Steuerzahler erst einmal politisch schwer vermittelbar. Viele Bürgerinnen und Bürger verweisen darauf, dass sie viel gespart und sich in Lohnverzicht geübt haben, während „die anderen“ auf Pump lebten. Diese Haltung scheint jedoch vergessen machen zu wollen, wer jahrelang von der wirtschaftlich nicht nachhaltigen Immobilienkonjunktur und fehlerhaften Infrastrukturprojekten im Süden Europas profitiert hat. Insbesondere Deutschland hat aus seiner starken Exportsituation heraus aufgrund der niedrigen Zinsen in den Südlichen Mitgliedsländer am meisten von diesen Ungleichgewichten und der fehlenden Abwertungsmöglichkeit Nutzen gezogen. Anstatt dies zu benennen, spricht die Bundesregierung nach wie vor die alleinige Verantwortung den Krisenländern zu. Zudem unterschlägt sie mit der einseitigen Betonung der Krise als Staatsschuldenkrise, dass diese sowohl im Zusammenhang mit der Finanzkrise zu sehen ist als auch in einigen Staaten Resultat einer übermäßigen privaten Überschuldung ist.

Wie soll es weitergehen?

Wie soll es weitergehen? Als Grundlage von Solidarität müssen Schritte für mehr Solidität unternommen werden. Deshalb war die Einigung von 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten auf den Fiskalpakt ein wichtiger Schritt, um in Zukunft europaweit eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung zu erreichen. Die Euro-Krisenstaaten müssen zweifelsohne ihre Reformen vorantreiben, die aber durch Maßnahmen von Deutschland und Europa begleitet und unterstützt werden sollten. Dazu zählt der vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Altschuldentilgungsfonds. Die Tilgung sollte dabei aus europaweiten Vermögensabgaben finanziert werden, damit Schulden sozial gerecht abgebaut werden können.

Allein durch Austeritätspolitik werden sich aber die tiefe Rezession, die hohe Arbeitslosigkeit und die soziale Schieflage in den Krisenländern nicht verbessern. Die Grüne Bundestagsfraktion hat unrealistische Anpassungsprogramme von Beginn an kritisiert. Deshalb war es wichtig, dass in den Verhandlungen zum Fiskalpakt gegen den Widerstand der Bundesregierung neben der Finanztransaktionssteuer auch ein Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung vereinbart wurde. Für die Umsetzung müssen wir aus den Fehlern der Struktur- und Kohäsionspolitik lernen, die Gelder sind endlich in Bildung und Qualifizierung sowie in Klimaschutz und Innovationen zu leiten und nicht weiterhin durch kurzfristige Konjunkturprogramme vorwiegend in Beton. Weitere wirtschaftliche Impulse müssen durch die Stärkung des Binnenmarkts und den Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte erfolgen. Dafür hat der EU-Kommissar für Soziales, László Andor, die Bundesregierung zu Recht aufgefordert, endlich Mindestlöhne in Deutschland einzuführen.

Handlungsfähigkeit und Stärke

Anstatt über die Grenzen der Belastbarkeit zu philosophieren, sollte die Bundesregierung jetzt Schritte einleiten, um die Europäische Union handlungsfähiger und stärker zu machen. Auch wenn einige wichtige Fragen offen bleiben, liefert der Bericht der sogenannten Zukunftsgruppe, einer Gruppe von Außenministern, dafür brauchbare Ansätze. Sie zählen Maßnahmen für die Stärkung von Entscheidungsrechten auf der EU-Gemeinschaftsebene auf. Bei allen politischen Integrationsschritten muss vor allem die Europäische Union demokratisiert werden. Die Gemeinschaftsmethode wurde von Merkel und Co nahezu ausgehebelt. Jetzt sollte das Europäische Parlament und die EU-Kommission wieder gestärkt werden. Während konkrete Vertragsveränderungen durch einen Konvent unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft organisiert werden müssten, müssen die Informations- und Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente bei der Kontrolle europäischer Hilfsinstrumente sichergestellt werden. Es war die Grüne Bundestagsfraktion, die diese Rechte erst in Karlsruhe erfolgreich einklagen musste.

Deutschland ist zu der Führungsrolle in der Eurokrise scheinbar unfreiwillig gekommen. Die Bundesregierung hat mit einem unsolidarischen Auftreten dazu beigetragen, dass die Kluft zwischen Nord und Süd vertieft wurde. Umso größer sollten deshalb jetzt unsere Anstrengungen sein, entscheidende Schritte der europäischen Integration voranzubringen und gemeinsam mit den Krisenländern Zukunftsperspektiven zu entwickeln.

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Viola von Cramon ist Mitglied des Bundestages und im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union bei Bündnis 90/Die Grünen tätigt

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